Die ersten Monate in Auschwitz
Eduard Wirths, ein studierter Mediziner, trat im Jahr 1933 der NSDAP und der SA bei. Kurze Zeit später, im Jahr 1934, wechselte er von der SA zur SS, wo er fortan in einem Sanitätszug an der Front eingesetzt wurde. Dass er 1942 jedoch als kriegsuntauglich erklärt wurde, führte dazu, dass er sich ab diesem Zeitpunkt im KZ- System etablierte. So begann er im April 1942 seine Karriere als Lagerarzt im KZ Dachau, wechselte jedoch nur wenige Monate später, im Juli, ins Konzentrationslager Neuengamme.
Nachfolgend trat er das Amt des Standortarztes im KZ Auschwitz an, am 1. September 1942, wo seine Karriere als Mediziner seinen Höhepunkt erreichen sollte. Dort war er Vorgesetzter vom allseits bekannten Josef Mengele sowie von anderen namhaften Ärzten wie zum Beispiel Horst Fischer und Horst Schuhmann.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Massenmorde in Auschwitz längst begonnen. Auschwitz war kein gewöhnliches Konzentrationslager mehr, im Gegenteil, es war vielmehr ein Zentrum des systematischen Völkermordes geworden.

Bild: https://www.bpb.de/themen/holocaust/erinnerungsorte/502993/kz-gedenkstaette-dachau/
Aufgaben und Verantwortung
Wirths’ Hauptaufgabe bestand darin, den gesamten Lagerkomplex, dazu zählten die Stammlager 1/2/3, medizinisch zu überwachen. Ein besonderes Problem war jedoch die vorherrschende hygienische Situation des Lagers. Krankheiten wie Typhus, Tuberkulose und Ruhr grassierten im Lager und sorgten für hohe Todeszahlen. Diese Seuchen stellten aber nicht nur eine Gefahr für die Häftlinge dar, sondern auch für die Wachmannschaften und die Ärzte.
Um dieses Problem zu lösen, ordnete Wirths die Errichtung von Wasch- und Desinfektionsanlagen an, sowie Seuchenschutzmaßnahmen, um die Häftlinge vor dem Tod zu schützen, damit die Arbeiten des Lagers weiter erhalten werden konnten. Im Übrigen wurden massenhafte Impfungen an die Häftlinge verabreicht, um darüber hinaus auch das Personal zu schützen.
Des Weiteren war einer seiner Hauptaufgaben, die Durchführung von Selektionen an der Rampe zu überwachen, bei welcher ankommende Häftlinge entweder zur Zwangsarbeit eingeteilt wurden, oder direkt in die Gaskammer geschickt wurden. Weiterhin war Wirths an medizinischen Experimenten beteiligt, die oftmals grausam und tödlich waren. Besonders bekannt sind seine gynäkologischen Experimente, die er an weiblichen Häftlingen durchführte, angeblich zur Krebsfrüherkennung. Auch die Infektion mit Fleckfieber an Häftlingen zu Testzwecken fiel in seinen Verantwortungsbereich.
Die Anfangszeit von Wirths in Auschwitz kennzeichnete sich durch die systematische Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie. Dabei wurden seine medizinischen Kenntnisse nicht zur Heilung, sondern zur Optimierung der Vernichtungsmaschinerie eingesetzt.

Vor Antritt meines Dienstes wurde mir vom Leiter der KZ-Lager, Gruppenführer Glücks, und dem leitenden Arzt der KZ-Lager, Lolling, erklärt, dass meine ausschließliche Aufgabe in Auschwitz die Bekämpfung einer schweren Fleckfieber- und Typhusepidemie bei der Truppe sei, um andere Dinge hätte ich mich nicht zu kümmern. Dies tat ich doch, fand unvorstellbare Verhältnisse für die Gefangenen vor und hatte schon nach 14 Tagen die Überzeugung gewonnen, mit meinen schwachen Kräften hier nichts ausrichten zu können, da es an jeglichen hygienischen und sanitären Einrichtungen fehlte. Es gab kein fließendes Wasser, keine ordentlichen Aborte, keine Bademöglichkeit. […] Ich war seelisch derart belastet, dass ich bald den einzigen Ausweg aus diesen schweren Gewissenskonflikten, den des Selbstmordes sah.
- Eduard Wirths
https://www.mdr.de/geschichte/ns-zeit/holocaust/eduard-wirths-lagerarzt-auschwitz-100.html

Fotot: https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2025/01/menschenversuche-auschwitz-konzentrationslager-medizin-ns/seite-2

Lagerführer Vinzenz Schöttl, Standortarzt Eduard Wirths und Lagerkommandant Rudolf Höß (von links nach rechts) im Januar 1944
Foto: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Peter Wirths
Im Frühjahr 1944 trafen in regelmäßigen Abständen Züge aus ganz Europa ein, beladen mit Menschen, die innerhalb weniger Minuten nach ihrer Ankunft selektiert wurden. Alte, Kranke und Kinder wanderten ohne Umschweife in die Gaskammern. Arbeitsfähige wurden in das Lager eingewiesen – meist für ein kurzes Leben unter mörderischen Bedingungen. Die Tötungsroutinen liefen längst wie am Fließband. Wirths' Arbeit bestand unter anderem darin, die Selektionen „medizinisch“ zu begleiten. Er entschied täglich für hunderte bis tausende Menschen über Leben und Tod. Wirths war also kein klassischer Schreibtischtäter, zwar delegierte er vieles an untergeordnete SS-Ärzte wie Josef Mengele oder Horst Fischer, doch bei vielen Selektionen war er selbst anwesend. Mögliche Hinweise auf einen inneren Konflikt bei Wirths sind rar, doch SS-interne Schreiben und spätere Aussagen über ihn deuten darauf hin, dass Wirths sich der Dimension seiner Verantwortung durchaus bewusst gewesen sein könnte.
Es gibt einzelne Hinweise – etwa aus späten Aussagen oder internen Vermerken –, die nahelegen könnten, dass sich Wirths der Dimension seiner Taten bewusst war. Diese sind jedoch schwer zu interpretieren und bleiben spekulativ.
Ab Mai 1944 startete die „Ungarn-Aktion“. Obwohl Ungarn im 2. Weltkrieg mit Deutschland verbündet war, waren die dort rund 800.000 Juden bis März 1944 nicht direkt von dem Holocaust betroffen. Als Ungarn jedoch im März 1944 von deutschen Truppen besetzt wurde, sollte die „Endlösung“ möglichst schnell durchgeführt werden. Ab Mai 1944 wurden massenhaft ungarische Juden in Richtung Westen, meist nach Auschwitz, zu den Konzentrationslagern gebracht. Aufnahmen der US-Luftwaffe zeigen gigantische Rauchwolken und Massengräber in und um Auschwitz. Eduard Wirths sollte hier eine entscheidende Rolle spielen. Die Ungarn-Aktion war eine Phase maximaler Auslastung innerhalb des Lagers.
Für Eduard Wirths bedeutete dies eine nahezu pausenlose Teilnahme an Selektionen und der Überwachung der Funktionsfähigkeit der Gaskammern, in diesem Fall war Wirths als Lagerarzt also organisatorisch stark involviert.
Im Spätsommer und Herbst 1944 veränderte sich die Situation schlagartig. Die Rote Armee rückte aus dem Osten näher, und in der SS wurde die Auflösung der Vernichtungslager vorbereitet. In Auschwitz begann man, Spuren zu beseitigen. Gaskammern wurden gesprengt, Leichen verbrannt, Akten vernichtet. Die Ungarn-Aktion, die in den Monaten zuvor Hunderttausende in den Tod geschickt hatte, war nun abgeschlossen. In Auschwitz herrschten nach wie vor unmenschliche Bedingungen für die Häftlinge, es gab nahezu nichts zu essen und Typhus sowie Durchfallerkrankungen breiteten sich durch die katastrophalen hygienischen Bedingungen schnell aus. Eduard Wirths sorgte auch persönlich für die Bekämpfung der Krankheiten innerhalb des Lagers, ob er dies als Behandlung oder Aussonderung tat, bleibt wiederum spekulativ.
Wirths ließ Maßnahmen zur Eindämmung von Typhus und anderen Krankheiten einleiten – jedoch vor allem zur Aufrechterhaltung der Lagerfunktionalität.
Im Januar 1945 wurde die Evakuierung des Lagers beschlossen. Die sowjetischen Truppen standen bereits in Oberschlesien, und ein Fall von Auschwitz war zu diesem Zeitpunkt absehbar. Die SS begann mit der Organisation der sogenannten Todesmärsche, hierbei wurden tausende Häftlinge in weiter westlich gelegene Konzentrationslager wie etwa das KZ Mittelbau-Dora gebracht. Eduard Wirths war bis zuletzt in Auschwitz, seine Aufgabe bestand am Ende beispielsweise aus der Selektion „evakuierungsfähiger“ Häftlinge. Jene die als „nicht evakuierungsfähig“ eingestuft wurden blieben in Auschwitz. Um den 18. Januar soll Wirths das Lager auch verlassen haben, damit endet seine Geschichte in dem Konzentrationslager Auschwitz.